4.7.13
Jubiläumsfeier
des Buchladens um die Ecke.
Es ist sehr
heiß und ich bin zehn Minuten zu spät, aber es hat noch nicht
angefangen. Draußen vor der Tür sitzen einige Raucher und rauchen.
Drinnen gibt es Wein aus Plastikbechern, dazu eingelegte Oliven und
Knusperbrezeln. Der Spanier gießt mir ein und erzählt, dass er aus
der Gegend von Valencia kommt und schon über sieben Jahre in Berlin
wohnt, zunächst im Prenzlauer Berg, dann in Neukölln, dann in
Kreuzberg, in Friedrichshain und jetzt wieder in Neukölln. „Iss
fülle miss ssehr woll hier und mösste hier bleiben“, dabei reibt
er sich die Hände und lächelt.
Das Konzert
beginnt. Eine tätowierte Italienerin singt Lieder von George
Gershwin und Gianna Nannini. Ihr Freund begleitet sie auf der
Gitarre. Die Tür des Ladens steht weit offen und draußen bildet
sich eine kleine Zuhörermenge, sogar einige Leute erscheinen an den
Fenstern der umliegenden Häuser.
Nach dem
vierten Lied wird der Applaus schwächer und ich beginne mich zu
langweilen. Während die Italienerin nun zum Blues übergeht, gehe
ich in den Nebenraum und betrachte die Bücherregale: Dostojewski,
Konsalik, Focault, Paul Auster. Ich ziehe ein Buch von ihm aus dem
Regal, da ertönt hinter mir eine Stimme: „Gehören Sie auch zu den
Leuten, die diesen Laden mit gebrauchten Büchern austatten?“ Ein
korpulenter Mann in kurzen Hosen und schwarzem Burberryhemd steht
dort, er war mir unter den Besuchern garnicht aufgefallen. Er lacht
laut auf und fährt fort: „Ich bin überrascht, dass es in Neukölln
überhaupt Kultur gibt. Wissen Sie, eigentlich finde ich Berlin ganz
furchtbar, eine so hässliche Stadt! Alles gewollt und nichts
gelungen. Florenz oder Venedig, das sind Städte! Oder mein
persönlicher Favorit: Palermo! Das ist eine Stadt mit Kultur, wissen
Sie, und dazu ein Klima, in der eine Palme sehr gut wächst. Dort
werde ich meinen Lebensabend verbringen, wenn ich nächstes Jahr in
den Ruhestand trete. Vielleicht in einem schönen Palais. Kennen Sie
Palermo?“ Ich schüttele den Kopf. „Sie sehen wie ein kultureller
Mensch aus, kommen Sie mich doch mal besuchen. Dann sprechen wir über
die wirklich schönen Städte dieses Kontinents.“ Er lacht ein
zweites Mal und reicht mir seine Karte: 'Dr. Gunthard Frese -
Kunsthistoriker und Archivar' steht dort. Ich bemerke die zerbrochene
Armbanduhr an seinem Handgelenk. „Besuchen Sie mich, es wäre mir
eine Freude!“
Die
Italienerin hat gerade ihr letztes Lied gesungen und nimmt sich einen
Becher Rotwein. In meiner linken Hand halte ich noch immer das Buch,
stelle es zurück an seinen Platz im Regal.
„Besuchen Sie mich, in meine es ernst.“ Ich nicke nur zum
Abschied und werfe dem Spanier einen Blick zu, er winkt mir und ich
trete aus dem Buchladen hinaus auf die Straße.