28.5.13
Ich treffe
einen alten Studienkollegen völlig überraschend in der U-Bahn. Er
war einmal ein sehr guter Freund oder ich sah ihn als so etwas an,
bevor er mich auf üble Weise hinterging. Vor einiger Zeit habe ich
den Kontakt zu ihm abgebrochen und wir haben uns zwei Jahre oder
länger nicht mehr gesehen. Jetzt steht er plötzlich vor mir, mit
blassem Gesicht und einem Buch in der Hand. Er grinst.
Wir
verabreden uns spontan zum Kaffee, steigen an der Schönleinstraße
aus, wo er seit Kurzem mit seiner Freundin wohnt, die er damals einem
gemeinsamen Bekannten ausgespannt hat. „Also wirklich was Ernstes?“
frage ich etwas perplex. „Joa, wir sind jetzt seit drei Jahren
zusammen, mit Höhen und Tiefen und zeitweiligen Trennungen. Aber man
muss sich überlegen, wie man heutzutage zusammenleben will. Man kann
ja nicht die alten Beziehungsmodelle von früher übernehmen.“
Das Café,
in dem wir sitzen ist fast leer. Ein schöner Raum, mit antiquierten
Postern aus den Siebziger Jahren. Aus den Lautsprechern dringt die
Stimme von Cat Stevens. Mein Studienfreund rührt in seinem Kaffee
und erzählt mir von seiner Kunst: Installationen mit fliegenden
Lautsprechern. Im Sommer gibt es ein Event in der Nähe des
Kanzleramts.
„Ich
versuche weniger Alkohol zu trinken" fährt er fort. "Es ist doch oft von Nachteil:
eigentlich redet man nur Stuss und dann der Kater am nächsten Tag.“
Er möchte jetzt mit Yoga anfangen. „Wollt ihr Kinder?“ „Es
steht immer wieder mal im Raum, aber Künstler zu sein, ist eben ein
unsteter Lebensentwurf.“
Er fragt
mich, was ich an Berlin besonders schätze.
„Freiheit.
Die Stadt gehört niemandem.“ Er blickt mich mit einer Mischung aus
Skepsis und Bewunderung an. Dann stehen wir auf und bezahlen. Er
schüttelt meine Hand und verschwindet so unvermittelt, wie er
aufgetaucht ist.