27.7.10
Berlin ist eine
Nachtstadt. Daran erinnere ich mich jetzt, auf meinem Spaziergang,
den ich unternehme, um den Döner für eins fünfzig zu verdauen, den
ich gerade gegessen habe. Es sind Dinge, die tagsüber vergessen oder
unsichtbar sind und mich jetzt daran erinnern: U-Bahnschilder,
Leuchtplakate, selbstgebastelte Werbetafeln, Neonröhren,
Straßenimbisse, erleuchtete Eckkneipen. Die Stadt versinkt in
Dunkelheit und wird aus bunten Glühbirnen wiedergeboren.
Es scheint, als ob
es hier einen Haufen Menschen gibt, der ausschließlich nachts lebt,
wie Lemuren. Nachts verlassen sie ihre Häuser und es ist Leben in
den Straßen, lachende Gesichter, überall Stimmen, besonders an
Sommerabenden wie heute. Ich gehe mit leichten federnden Schritten
über den erwärmten Asphalt. Kurz vor zwölf, auf der Hermannstraße
fahren fast keine Autos mehr, dafür sitzen jetzt Biertrinker und
Currywurstesser auf den Bänken vor den Imbissen. Sie stärken sich,
bevor sie in die Parks, auf die Parties, in die Kneipen und die Clubs
verschwinden. Wann werden sie müde? Wann endet ihre Nacht und
beginnt ihr Tag, ihr Alltag? Haben sie überhaupt einen? Sind sie
überhaupt Menschen? Oder eine eigene Spezies? Ich bleibe kurz
stehen. Ich möchte mich ihnen anschließen, ich möchte einer von
ihnen werden, ihnen in die Nacht folgen, mit ihnen ins Dunkel
abtauchen. Doch ich kann nicht. Ich bin keiner von ihnen. Noch nicht?
Kann man das lernen, ein Nachtberliner zu werden? Ein leichter,
kühler Wind kommt auf und weht mir ins erhitzte Gesicht. Wie geht
das? Wie werde ich auch ein Nachtberliner? Die Currywurstesser und
Bietrinker erheben sich langsam und verschwinden, einer nach dem
anderen, in die Parks, auf die Parties, in die Kneipen und die Clubs.
Ich wende mich um und gehe nach hause.