Samstag, 28. Juni 2014


27.6.14
Mit vollen Einkaufstüten in den Händen bin ich auf dem Nachhauseweg. Plötzlich vor mir auf dem Bürgersteig eine umgekehrte Schrift, mit gelber Kreide dort hingeschrieben. Ich halte kurz an, drehe den Kopf und lese, was da steht: “Ich will ich sein”. Ein Stückchen weiter kommt die nächste Schrift, wieder halte ich an und lese: “Du drehst Dich um und niemand ist da”. Ich muss lächeln. Nachdem ich die Hauptstraße überquert habe und in eine Seitenstraße einbiege, begegnet mir wieder die gelbe Kreideschrift. Diesmal steht dort: “We want change!”
Streetpoetry in Berlin.

Donnerstag, 26. Juni 2014


26.6.14
Der Mauerpark. Dort liegt er wie ein Denkmal der Neunziger Jahre. Die Wolkendecke lockert etwas auf und die Sonne zeigt sich. Es sind nur wenige Leute unterwegs, einige Radfahrer, eine einsame Raucherin. Auf dem Weg steht eine traurige Gestalt mit schwarzer Mütze, schwarzer abgetragener Jacke und ausgelatschten Turnschuhen. Als ich vorbeigehe, erwarte ich schon die obligatorische Ansprache: “Tschuldigung, haste vielleicht n Bisschen Kleingeld?” aber sie kommt nicht. Stattdessen hebt der traurige Mann nur kurz den Blick und senkt ihn wieder.
Ich gehe ein Stück weiter, unter einer Baumgruppe auf einer Mauer sitzen Mittfünziger und unterhalten sich. Vor zwanzig Jahren, die Zeit nach dem Mauerfall, waren sie in meinem Alter, vielleicht saßen sie damals auch schon hier, ihr halbes Leben noch vor sich. Jetzt haben sie es fast schon hinter sich. Ich gehe noch ein Stück weiter, drehe dann um. Die einsame Raucherin hat jetzt eine Trommel hervorgeholt und schlägt einige Rhythmen, zwei Passanten ruft sie hinterher: “Ihr fresst zuviel!” Ich muss grinsen.
Wieder passiere ich den traurigen Mann. Diesmal fragt er mich nach einer Zigarette. Ich halte an. “Leider Nichtraucher.” Er schaut mich an, seine Augen sind klar, er hat keine Fahne. “Vielleicht n Bisschen Kleingeld?” Seine Frage wirkt mechanisch, so als müsse er sie stellen. Ich schaue ihn an, gebe ihm alles was ich dabeihabe. Er lächelt und schlägt sich mit der Faust auf die linke Brust: “Respekt.” “Bis bald”, sage ich aus irgendeinem Grund. Dann winkt er mir noch. Ich gehe zurück zum Ausgang.

Montag, 9. Juni 2014


9.6.14
Der Tag beginnt mit einer sonderbaren Begebenheit:
Ein lauter Rumms auf meinem Balkon reißt mich etwas unsanft aus dem Schlaf. “Was war das?” fährt es mir durch den Kopf “ist was kaputt gegangen?” Ich springe auf, eile leicht verwirrt zum Balkon. Ein Blumentopf ist umgestürzt, aber erstaunlicherweise nichts kaputt.
Was aber der Lärm verursacht hat, ist wirklich kurios: dort liegt ein weißes Modellflugzeug, Spannweite etwa einen Meter fünzig, rote Flammenschweife sind auf den Tragflächen aufgedruckt. “Wo kommt das denn her?” Ich bin verdutzt, beuge mich über die Reling meines Balkons und spähe hinaus auf die Straße. Niemand zu sehen, der ein Flugzeug vermisst oder mit einer Fernbedienung ziellos umherläuft.
Das Flugzeug macht Geräusche wie ein Vogel: es grient und zirpt, immer wieder in Abständen. Ich beuge mich zu ihm herunter. Die Mechanik funktioniert offenbar noch, denn die Höhenruder gehen sirrend auf und ab. Nur die Vorderseite ist etwas ramponiert, der Propeller dreht sich nicht mehr. Es ist ziemlich windig, also ist es wohl abgetrieben. Aber wer lässt denn bei so einem Wind ein Modellflugzeug steigen? Seltsam, seltsam.
Ich warte und schaue wieder nach unten auf die Straße. So verharre ich einige Minuten. Noch immer scheint niemand das Ding zu vermissen. Hat es der Besitzer schon abgeschrieben?