2.12.15
Am Kottbusser Tor
Kurz vor zwölf
nachts, an einem Mittwoch. Raus aus der U1, die ewig dreckige
Rolltreppe runter zur U8. Leute hetzen, sind gehetzt oder genervt
oder beides. Schnell noch die letzten U-Bahnen kriegen. Besoffene
Hipster, verzweifeltes Partyvolk.
Plötzlich gibt es
Musik. Sie schallt von unten die Rolltreppe rauf, kommt überraschend,
direkt aus dem Innern der U-Bahnstation. Als ich unten im
Zwischengeschoss angekommen bin, sehe ich einen dicken, kurzsichtigen
Typen mit starker Brille und schwarzem T-Shirt und einen
E-Bass-Spieler mit Bart, der einige Akkorde zupft. Der Dicke rappt:
“Du bist nicht allein…. Hab keine Angst… Du bist das Wunder…
Gott ist ein Teil von Dir...” Verblüfft bleibe ich stehen und sehe
den beiden zu. Der seltsame Rapper sieht wie ein verträumter
Virtuose aus, spaziert entrückt auf und ab, vollführt eine Art
Tanz, mit den Augen nach oben gerichtet. Der E-Bass-Spieler hat seine
Augen geschlossen und zupft. Einige andere Passanten bleiben
ebenfalls stehen, hören zu. Kurzes Bass-Solo. Ein Typ geht auf den
Dicken zu und reicht ihm eine Zigarette, die dieser zunächst
ablehnt, dann nimmt er doch einen Zug. Ein Liebespaar bleibt stehen
und beginnt zu knutschen. Ich gehe weiter, höre wieder die Stimme
des Dicken, jetzt nur noch undeutlich bis zum Bahnsteig. Plötzlich
breitet sich eine eigenartige Ruhe aus. Berlin-Moment.